<< Die zweite NachtBlues Beach >>
Bild 14, "Grande Soiree" (1997)
Öl/Fotokarton, 68 x 48 cm

Auszug aus meinem Reisetagebuch: Sonntag, 31.12.1989
Sylvester. Morgens Baden am Strand. Heute hatte ich die Gelegenheit, einmal die andere Seite des heutigen Afrikas ausführlicher kennenzulernen: Die Weiße:
Die Exzessivität ging für schlichtere, moralischere Gemüter bis an die Grenze zur Perversion.
Wir fuhren Abends in den Busch zu einer Ranch, auf der eine Soiree zum Jahresabschluß für eine geladene, und wie sich herausstellte, elitäre Gesellschaft stattfinden sollte. Da ich auf meiner Reise keine saubere und schon gar keine gesellschaftstaugliche Bekleidung mehr mitführte, half mir Georg kurzerhand, doch eher widerwillig, mit einem halbwegs ordentlichen Hemd und einem seiner Jackets aus. Diese Aktion mußte irgendwie unangenehm für ihn gewesen sein, schien es mir. Naja, sei's drum, schließlich kamen wir gerade rechtzeitig zum Essen, und dieses setzte sich folgendermaßen zusammen:
Als ersten Gang und um den Appetit anzuregen, wurden vielerlei Muschelsorten, von roh bis durchgekocht und allen dazwischen liegenden Konsistenzformen gereicht. Austern, Miesmuscheln und Herzmuscheln erkannte ich darunter, und außerdem eine kleine Meeresschneckenart, die vermutlich nicht genießber war, da niemand sie in rohem Zustand mit einem extra dazugereichten Zahnstocher aus dem Gehäuse zu entfernen vermochte, und deshalb auch niemand auf dieser Soiree hätte sagen können, wie sie geschmeckt hätte, oder ob sie möglicherweise schlecht gewürzt gewesen wäre. Anschließend gab es Lachsfilets und getrüffelte Gänseleber, die sozusagen das Hauptgericht, Langusten an Sauce Bechamel mit Waldpilzen, oder wahlweise auch Kaninchen in Portweinsauce gebraten, mit verschiedenen Beilagen, einläuteten. Oder habe ich vielleicht ein erlesenes Süppchen vergessen aufzuzählen, schließlich waren wir ja unter Franzosen. Später wurden Camembertscheiben, auf Chicoree-Streifen angerichtet und mit einer Vinaigrette serviert, schließlich dann verschiedene Pralinees, die vom Chef de la Cuisine höchstpersönlich kreiert worden sein sollen, wurden von diesem auch höchstpersönlich aufgetragen. Nein, ich habe angesichts dieser letzten süßen Überraschung des Küchenchefs, nicht mehr wirklich aufleuchtende Augen hinter den fast zum Bersten gefüllten Wänsten der zum Essen geladenen Gäste entdecken können. Natürlich gab es zum Essen reichlich Wein, wobei aber die Aperitifs, oder waren es bereits Degistifs, aus verschiedenen gut eingefüllten Wassergläsern, teilweise mit Whisky on the Rocks vermischt, zusammengestellt und getrunken wurden.
Nachdem dann um zwölf Uhr alle Anwesenden aufstanden, sich küssten und umarmten, ging im Hintergrund ein hauptsächlich in roten Farben gehaltenes Feuerwerk los, und auf dem Tisch wurden die Champagner-Flaschen geöffnet. Eine Flasche für umgerechnet 200 Deutschmark. Die Soiree fand im Freien, auf einem zu der Ranch gehörigen Gartengrundstück statt. Frauen, Miniröcke, Foxtrott und schwarze Bedienstete in weißen Schürzen und Handschuhen. Sämtliche Speisen waren angeblich aus Frankreich importiert, sogar der beleuchtete Weihnachtstannenbaum, der etwas abseits stand. Natürlich war auch die Kapelle afrikanisch, und ich glaube, die schwarzen Musiker trugen ebenfalls diese weißen Handschuhe.
Die Gäste waren aber ausnahmslos weißer Hautfarbe, und ich saß bei Hilde und Georg verloren, mit lauter französischen Mathematikern, einem Physiker und einem affektierten Fluglehrer aus Kamerun, samt deren Ehefrauen am Tisch, und fragte mich, welchen Geschäften solche Leute wohl hier mitten im Busch nachzugehen pflegen, wozu man wohl all diese arroganten Mathematiker im Busch benötigte. Gespräche über die Dummheit der Neger, und die jeweilige AIDS- (SIDA-) Rate unter der schwarzen Bevölkerung in den verschiedenen afrikanischen Ländern.
Komischerweise fühlte ich mich mittlerweile fast schon schwindelig, wohl weil ich auch ziehmlich betrunken war, und die schlüpfrigen Austern, die dekadente Umgebung hier mitten im Busch, die übertriebene Einladung zur Völlerei, die seltsamen Menschen, und schließlich das Bewußtsein, sich für einen kurzen Augenblick in seinem Leben, diesen kostspieligen Genüssen hinzugeben, wo doch möglicherweise nicht weit von hier entfernt, vielleicht um die nächste Ecke, unhörbar, da die Musik und die Partygeräusche alles übertönten, Menschen in Armut ihr Leben zu fristen, gezwungen waren, oder schlimmer noch und überspitzter, vielleicht gerade mit dem Hungertod zu kämpfen hatten, wie wir das, durch die uns in Europa hauptsächlich gezeigten Bilder über Afrika, ja gewohnt waren zu denken, so daß sich mir aber der Magen umdrehte, und ich seinen Inhalt in einer stillen Ecke von mir gab...
Manchmal sah man verstohlen Rasierklingen aufblinken und kleine Spiegelchen sich unbeholfen, hinter versteckenden Händen und vor Erregung zitternden Nasen verbergen. Vielleicht war das aber alles nur Show.
Etwas weiter abseits wird gekifft, aber ich fand das tolle Fest bereits ganz schön pervertiert und abstoßend, und meine Gefährtin hatte Recht, an diesem Tag lieber zu Hause zu bleiben, um alleine und "besinnlich" zu feiern. Ich hatte den ganzen Abend den Eindruck, als hätte sich hier in Afrika nach dem Ende des Kolonialismus gar nicht so viel an den damals vorherrschenden Strukturen verändert.